WG44 – zwei Briefentwürfe an Alma Mahler
Neubabelsberg, Freitag, 12. August 1910
[Briefentwurf I]
Dein Brief ist ein ernster Brief.
und ich werde Nein
Für Dich sind die Gefahren
die gleichen
\in meinem Glück fühlen ich/
Es ist [unleserlich gemacht] Nerv in mir!
wie \und/ das Leben pulsiert.
Ich fühlte, daß meine
Briefe ### Dich gekränkt
haben, ich hat der sonst so
verschlossene, ließ jede kleinste
Schwankung des Gemüts vor
Deine Erkenntnis.
Ich fühle das alles den
schweren Widerstreit der Seele
und wie Du leidest und ich will
nicht Dein Herz bestürmen mit
allen meinen Ängsten u Nöten.
Aus vielem höre ich Deine
die Dich bestimmt bestärkt hat.
So schwer u bang mich auch
Dein Brief heut Abend stimmte
an mir sollst Du nicht verzweifeln
dürfen. Ich will keinen Trost,
ich will Dich trösten können
Sage mir nur eins, werden
wir uns sehen? Das würde mir
über alle Qualen hinweghelfen
Ich habe mich ganz für
mich allein auch durch Schwüre
gebunden, damit ich kei die
mich vor dem Versuchen schützen
sollen
Ich nannte Dich schon
vor Dir, „meine Braut“ und fühle
mich als Dein Verlobter, ich will
es
gerne gebe ich Dir mein
Wort darauf, daß Du wissen
sollst, wenn
\Du sollst meine Seele nicht klein finden/
Nein Du sollst mich wahr-
haftig nicht klein finden, ich
will mich Deiner großen Seele
gewachsen zeigen
Dieses Bewußtsein: Sie liebt
mich, hilft über alle Schmerzen
Ganz am Anfang unserer seligen
Zeit sagte ich Dir schon: Ich werde
mich verabscheuen, wenn Du
je aus irgend einem Grunde
Dich von mir wendest.
Wenn ich weniger schreiben
soll, so sage es bitte, ich will
den armen gerne schonen
Ich kenne all die Gefahren u
die Wandelbarkeit des Reizens
aber wenn ich \Du mir/ das Bewußtsein
Deiner starken Liebe erhältst
kann, wenn kann meine
nicht mehr aufhören \wanken/. Mein
liebes, ja ich bin jung, aber
wenn ich die anderen Männer
meines Alters um mich sehe
fühle ich mich reifer und ich
weiß, daß ich mehr erlebte als
die meisten von ihnen.
Ich fürchte \stehe am Anfang und/ ich muß noch
durch eine große weite Wüste
gehen in der es nur wenige
Oasen giebt, wenn es nur einige
giebt, einige Wiedersehn
Fotos
[Briefentwurf II]
Neubabelsberg. 12.8.10.
Freitag Abend.
Liebste!
Dein Brief ist ernst. Hier ist die schuldige
Antwort – \und/ ehrlich! Du helden\edel/mütige Frau sollst
meine Seele nicht klein finden; ich will Dich wieder
freudig stimmen, da meine Briefe Dich gekränkt
haben müssen. Tröste mich nicht, ich will Dich
trösten. Ich fühle mit Dir den schweren Wider-
streit der Seele und wie Du leidest und will
nicht (mehr) \in rücksichtsloser Offenheit/ Dein Herz mit \allen/ meinen
Ängsten und Kümmernissen \bestürmen/ – Denke an
meinen Toblacher Brief ich wußte, daß Du
so handeln würdest, \daß der edle Mann Dich entwaffnen würde mit seiner
Liebe/verzeih, wenn sich \dennoch trotzdem/ mein
hitziges Blut zu schnell das Glück vorgaukel-
te, das es ersehnt – \ vergieb mein Ungestüm verzeih/ - ich werde d\en/noch ausharren \wenn es nicht fern ist/.
Ich sage Dir, es ist Nerv in mir und ein Zähnefletschen
wieder [!] die Welt – ich will Dich erh Entsinne Dich wie
ich Dir im Anfang unserer seligen Zeit sagte \ich Dir/: ich
werde mich verabscheuen, wenn Du je aus irgend einem
Grunde Dich von mir wendest. Das hat sich meinem
Gehirn wie eingebrannt und alle Energien in
mir geweckt. Ich für Es ist Nerv in mir
und ein Zähnefletschen gegen \wider/ die Welt \und/ um den
kostbaren Einsatz sollen \könnten sich/ Dinge gewagten werden,
die über das gewöhnliche Maß hinausgehen. Zum
Siecher werden u zum Narren wie Herr Tristan.
Zu der langen Reise siehst D\u/ mich gerüstet
stehen, \wie/ am Rande einer langen \großen/ Wüste unwissend
wieviele Oasen des Wiedersehns darinnen sind.
Und wenn das Herz mir schwer wird von
großer Sehnsucht und Ungewißheit, ob ich Dich
je erringen werde, dann wird mir nur der Glaube
helfen: Sie liebt mich. Ja, meine , ich baue
auf Deine Treue und Reinheit in jeder Beziehung,
schon vordem \Dir/ nannte ich Dich meine Braut.
Du hast \wirst/ die gleichen Anfechtungen zu bestehen \müssen/ wie
ich, und wir wollen uns beide \gegenseitig/ versprechen, dem
andern nichts zu verbergen, denn an \denn/ wir können
uns \ja/ nie mißverstehen. Für meine Jahre
habe ich viel gesehn u erlebt, ich kenne \glaube/ die Ge-
fahren \zu kennen/ u die Wandelbarkeit der Herzen, aber
zu meinem Glücke weiß ich, daß, solange Du mir
das Bewußtsein Deiner starken Liebe erhältst,
die meine nicht wanken kann \u./ Eine Hoffnung
bewahre mir, die mir \stets/ das bittere \in/ Süß\igkeit/ werden läßt \ver wandeln wird /,
daß Du mir, sei es, wann es sei, in diesen
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , , , .
Quellenbeschreibung
5 Bl. (5 b. S.) – Briefentwurf I: Viertel eines Papierbogens, kariert (, , ); Briefentwurf II: unbedrucktes Briefpapier mit Tinte (, ).
Druck
, S. 873, bei Anm. 220 (Auszüge, in engl. Übersetzung).
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM16 vom 10. August 1910 (Deine Braut): Ich nannte Dich schon vor Dir, „meine Braut“ und AM17 vom 11. August 1910 (Ich bin um ein paar wenige Jahre älter): ja ich bin jung, aber wenn ich die anderen Männer meines Alters um mich sehe fühle ich mich reifer und ich weiß, daß ich mehr erlebte als die meisten von ihnen. […] Für meine Jahre habe ich viel gesehn u erlebt. Beantwortet durch AM19 vom 14. August 1910 (Was für eine unbändige Freude hast Du mir gestern Abend gemacht. Die lieben Bilder): Fotos.
Datierung
Entwurf II (Tinte) wurde von WG datiert: Freitag Abend und 12.8.10. Dass es sich bei den ersten drei Blättern (Entwurf I – Bleistift) um eine erste Fassung handelt, erschließt sich aus dem Inhalt. Da AM17 vom 11. August wohl schon am Abend des 12. August in Berlin eintraf (vgl. Entwurf II) und der Bleistiftentwurf gleich zu Beginn von Dein Brief heut Abend spricht, müssen beide Entwürfe am selben Tag verfasst worden sein.
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Elke Steinhauser)
Briefentwurf I – In diesem Fall lässt sich Schreibprozess besonders gut nachvollziehen: Nicht nur der datierte Briefentwurf in Tinte liegt vor (Briefentwurf II), sondern auch eine Vorversion, die, wie fast alle Briefentwürfe , in Bleistift verfasst wurde. Auffällig ist die inhaltliche Ähnlichkeit zwischen den Formulierungen und Gedanken in Entwurf I und II bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit im allgemeinen Ton und in der Schwerpunktsetzung.
Briefentwurf II – Im gesamten Bestand der -Blätter an finden sich nur wenige, die in Tinte verfasst wurden, wobei es sich zumeist um Reinschriften bzw. Abschriften handelt (vgl. Zum Material von Walter Gropius). Da in diesem speziellen Fall sehr viele Durchstreichungen und Einfügungen verwendet, handelt es sich wohl eher um eine Reinschrift, die aufgrund zu vieler Korrekturen zu einem weiteren Entwurf geriet. Dafür spricht auch die letzte Zeile des Blattes, die mitten im Satz abbricht.